Thursday, January 04, 2007

Konrad erzählt

„Jo do worn mer dehn im Viabettzimmer …“
Der Einfachheit halber synchronisiert der Babelfisch unmöglichen südbayrischen Dialekt in einen leichtgefärbten gerade noch verständlichen Akzent.
Konrad erzählt also gerade vom 60-jährigen Mitbewohner des Münchner Krankenhauses, der frisch am Magen operiert ins Vierbettzimmer hinzustieß.

„Und kaum ist der aufgewacht, fing der an zu schreien: ‚I hob Hunger! Gebts mir wos zu essen! Ja Kruzifix, wieso krieg ich denn nichts zu essen!’ Das war eben zur Abendbrotzeit und es hatten alle Semmeln und Würste auf dem Nachttisch! Mein Hunger im Krankenhaus hielt sich in Grenzen, eine Semmel gab ich dem ab, damit er endlich Ruhe gibt. Blutige Hennekepf, hat der ein Geschrei gemacht. Am anderen Morgen war er immer noch nicht satt. Er aß noch eine Semmel und meinen Quark, einen zweiten Kaffe mit Zucker und Sahne bekam er vom anderen Bettnachbarn, einem ewig vor sich hinmaulenden Schwaben.

Der hat was zammengegessen, der Kerl! Wo’s do herinnen ja in aller Herrgotts Früh mit Semmeln und Kaffe ankummen, um zwölfe gibt’s scho a Mittagessen und danach gleich a Stickerl Kuchen zum Kaffe. Des hot der natürlich alles zammgessen.
Des Fröschel auf der Skala der Zuckermesswerte musste in schwindelerregende Höhen klettern. Jetzt war der auch noch Diabetiker!

Mit engelsgleicher Unschuldsmiede jammerte er die Schwester an:‚ich versteh das nicht, hier im Krankenhaus steigt und steigt mein Zucker ….’“
Jedenfalls hatte der 60-jährige Schwerenöter noch drei Tage lang Konrads Semmeln und „Stickerl“ kuchen gegessen bis er sich von seiner 20 Jahre jüngeren Frau abholen liess.

„Dann hot der ins Telefon eine gebläärt (blären, hochdt.=plärren), in einer Lautstärke, dass der Schwabe beinah aus dem Bett gfallen wär. ‚Schnecke!’ hot er gschrien, „Schnecke, ja geh halt mal raus aus der Kneipe, des is so laut herinnen!’“
Schnecke holte ihn ab, sie fuhren zum Viktualienmarkt und aßen heißen Leberkas mit Senf. Kaum war der magengeplagte Schreihals draußen, nölte der Schwabe halblaut vor sich hin. Ich wusste nicht, redt der jetzt mit mir, des war so ein hektischer kleiner Kerl, mit einem Höllendialekt, i hobs fost koi Wörtl verstonden …“

Konrad breitete seine Lachfalten aus und fuhr fort:
„Jetzt hat der eine beim Einpacken das ganze Zeug vom Waschbrettl mitgenommen und der Schwabe schrie: ’Mei Zahnbürstl hot der mitgnomme! Und meinen Becher!
Den muß man anrufen, der hat ja alle meine Sachen mitgenommen, der muß mein Bürstchen wiederbringen!’
Keine Ruhe hat der gegeben, den ganzen Tag hat der seinem Zahnbürstl nachgeheult. Sogar seiner Frau lag er in den Ohren, dass man den anrufen müsse, damit er sein Bürstchen und seinen Becher wiederbringt.
Die Frau hatte irgendwann zuviel. ‚Jetzt laß aber mal gut sein, wegen diesem gschissnen Bürstle, das würden wir sowieso in den Müll werfen, wenn der das zurückbringt, pfui Deifel, das würdest du doch nicht mehr benutzten, ich bring dir halt n neues vorbei, aber Himmel Herrgott aber auch, jetzt hör mal auf, wegen diesem Becher loszublären!’“

Um den Tisch war es schon beim ersten Mal „blääääären“ geschehen. Der massige Körper der bald pensionierten Kellnerin Bärbel lauerte in der Nähe. Sie fand das Ganze sehr suspekt. Aber Konrad war in Fahrt und kaschperte und fuchtelte am Tisch herum, äffte alle möglichen Leute nach, vor allem, die Unfröhlichen, die mit 50 am Tisch sitzen, einen Buckel machen und vor sich hin grienen.
„Jaaaaaaa. Jaaa.“ Sagen die dann.
Und das färbt ab.
Er lässt seine Gesichtszüge nach unten hängen, berührt beinahe mit der Nase den Teller und schnieft „jaaa. Hajaaaa.“
So Leute gibt es, sagt er. Dann springt er innerlich wieder auf, die Augen glitzern: „und ich sag dann zum Kollegen, aber was denn, mach Urlaub, nach Italien, mit deiner Frau“ um sogleich wieder in Lethargie zu verfallen:
„Hajaaa. Mhm. Weiß auch nicht. Jaaajaaa.“
Bärbel, die Kellnerin lauschte. Jetzt baut sie sich vor Konrad auf und fragt: „Muß ich etwa so werden, wenn ich in Rente gehe …!?“

Im Speisesaal: Konrad und Heidemarie

Der Speisesaal war bevölkert mit Menschen fortgeschrittenen Alters, an Krücken, im Rollstuhl, besonders dicke und besonders bandagierte. Kim selektierte das Geschehen aus der Vogelperspektive. Zu gemischt waren ihre Gefühle und voller Vorurteile gegen das Sanatorium der alternden alten Menschen. Wo sind die ganzen Kreuzbandrisse, die leicht verunglückten Snowboardfahrer, mit denen sie beim therapeutischen Klettern ihren Spaß haben würde?

Ein Kellner fängt sie ab, geleitet sie an ihren Platz. Am Tisch sitzen Konrad, Heidemarie und Markus. Oberflächlich gesehen ebenfalls eine Generation älter als Kim, aber wenigstens nur eine!

Spätestens nach dem zweiten Frühstück hat Kim die Vogelperspektive mit Warp neun verlassen, ihre Tischnachbarn liebgewonnen und bereits drei neue Lachfalten erworben.
Getreu nach Konrads Lieblingsspruch: „Manche homs Lachfalten, ondre eben Tränensäcke!“

Konrad ist ein lustiger urbayrischer Sprücheklopfer, ein junggebliebenes Kaschperle, so dass Kims inneres Ich den allgemeinen Altersunterschied bereits eingeebnet hat.
Sie lacht los, als Konrad ganz erstaunt Heidemaries Lebensgeschichte kommentiert: „Was, dein Mann ist erst fünfzig!?“
"So alt schon!?". Peinliche Stille. Klar. Konrad ist bestimmt auch schon fünfzig oder drüber. Kim ist halt erst 30.
Das innere Ich bemerkt, wie es sich über jeden Altersunterschied hinwegsetzten kann.
Diese Anpassung funktioniert in beide Richtungen erinnert es sich, denn mit der 18jährigen Nichte sprang Kim auf Hip-Hop Partys herum, kaufte alberne Klamotten und ging als 23jährige "coole" Tante durch.