Friday, September 01, 2006

2. Ein Schlauch im Rücken

Gerade eben noch in Berlin, dann auf einen Sprung in die Alpen, später im Kino wachte Kim in einem fremden Bett im Anästhesieraum auf.
Sie hatte die 7-stündige OP hinter sich und fühlte sich wie an einem Sonntagmorgen kurz vor dem Brunch.
Augen auf, was bietet mir das Leben! Oh, ein operiertes Bein, ok. Ups, das kann ja bewegt werden. Cool. Und sogar aus eigener Kraft angehoben.
Aber hoppla, was ist denn das für ein tauber Mehlsack daneben, das müsste doch ein gesundes bewegungsfähiges Beinchen sein!? Keine Chance. Liegt da wie tot und ist pelzig. Weh tut nix, dafür steckt ja ein dünner Schlauch in ihrem „Bioport“ im Rücken und versorgt sie mit Medikamenten. Keine Kopfschmerzen, kein Schlechtigkeitsgefühl, sie plaudert lustig mit Sandras Mama, nimmt Anrufe entgegen, freut sich und vergisst am nächsten Tag fast alles wieder.

Auf jeden Fall möchte sie nun sofort ihr gesundes Bein bewegen, das ist ja lächerlich, findet sie. Der Schlauch im Rückenmark scheint direkt an der Nervenwurzel vom gesunden Beins zu liegen, so dass dieses die volle Packung des Medikamentenmixes abbekommt. So viel, dass ein gesundes Bein im Kampf gegen die Schwerkraft den Kürzeren zieht.
Kim entscheidet auf die Betäubung zu verzichten mit der Aussicht, am nächsten Tag das Bett verlassen zu können. Das Gerät, welches ständig vor ihrer Nase baumelt und kontinuierlich Schmerzmittel über den Bioport im Rücken abgibt wird ausgeschaltet.
Die folgende Nacht übersteht sie nur durch die Entschlossenheit der Anästhesistin, die ein hochdosiertes Mittel mehrfach direkt ins Ventil des Schlauches spritzt!!!

Am nächsten Morgen ist das gesunde Bein bis zum unteren Rücken taub. Wie ärgerlich. Keine Chance aufstehen zu können. Kim grübelt und hadert und beschließt gemeinsam mit dem Pfleger das Gerät erneut so lange abzuschalten, bis die Schmerzen wiederkommen. Vielleicht ist das Bein schneller wieder tauglich als die Schmerzen zurück.

Fleißig übt sie ihr operiertes Bein an der Motorschiene, zieht sich am Bettgalgen hoch um das Kreuzbein zu entlasten und spürt langsam aber sicher feine Nädelchen im unteren Rücken.
Als es wirklich weh tut, sagt sie dem Pfleger bescheid. Er wird der Anästhesie bescheid sagen, die nach einer guten halben Stunden eintrudelt und das Gerät erst mal niedrig dosiert in Gang bringt.
„Oh, das war ja ausgeschaltet. Das dauert jetzt aber sicher 'ne Stunde, bis eine Wirkung einsetzt.“
„!!!???“
Kim ist bereits im Zustand erweiterter Schmerzempfindung, soll heißen, das Ganze wirkt sich als körperliche Anstrengung aus. Sie ringt nach Atem und wundert sich, dass die Schmerzen vom Kreuzbein ausgehen und in das gesunde Bein ausstrahlen während das operierte Bein friedlich auf der Motorschiene schläft.

Ob sie etwa vom Operationstisch gefallen ist?
Sandra beruhigt, ihre geniale österreichische Schnauze und ihr trockener Humor bringen Kim wieder zum Lachen. Dabei sieht sie vor Schmerzen die Wand nicht mehr.

Die Anästhesie wird nervös und schaltet das Gerät auf volle Kanne.
Es ist der Tag nach der OP, man rechnet selbstverständlich mit Schmerzen, aber doch nicht im Rücken und in einem gesunden Bein!?
Also das muss der Chirurg untersuchen.
Die Anästhesie eilt davon.
Eine halbe Stunde später kommt eine weitere Anästhesistin, meldet, die Chirurgie wisse bescheid, die Neurologie sei auf dem Weg. Und schaltet das Betäubungsgerät wieder ab.
Für eine neurologische Rückenuntersuchung darf ein Patient nicht unter Einwirkung von Schmerzmitteln stehen.

Kim windet sich derweil unter heftigem Schluchzen, durchsetzt von irrem Lachen, denn weder Sandra noch sie verstehen, wieso ein unangetastetes Bein und ein Rücken weh tun, während ein mit Nägel und Schrauben malträtiertes Bein gefühlstauglich und schmerzfrei daneben liegt.
So lange die Kraft hält, zieht Kim sich am Galgen hoch, das entlastet und lindert den Schmerz. Beim Loslassen piekst der Schlauch im Rücken und ein Feuerstrahl schießt ins Bein. So vergeht eine lange Stunde. Vom Chirurgen keine Spur, der Stationsarzt kann erfreut mitteilen, dass es sich sicher nicht um einen Bandscheiben Vorfall handelt.
Wo bleibt ein Schmerzmittel?
Eine weitere Stunde später verspricht der Chirurg dem Neurologen bescheid zu sagen...!?
Alle sind sehr besorgt, denn Kim leidet offensichtlich nicht nur unter Schmerzen sondern wird auch noch abwechselnd von Fieber und irrem Lachen geschüttelt.
In diesem Moment klingelt das Telefon.
Weiß der Teufel welcher Irrsinn verantwortlich für das Abheben des Telefonhörers war.
Ein erbarmungswürdiges rauh unterbrochenes Aufheulen (sollte hiessen: hallooo?) überzeugte den völlig verstörten Karl, dass dies kein guter Tag für einen Besuch wäre.

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